Bruno Wurster

 Am 8. Juni 1939, ein paar Monate ehe der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurde Bruno Carlos Wurster in Bern geboren – er blieb das einzige Kind seiner Eltern. lrmgard Wurster-Burri, eine gut aussehende, bemerkenswerte Frau mit wachem Geist, offen für alles Künstlerische, hatte an den Konservatorien in Bern und Dresden Klavier studiert, doch war es nicht ihre Bestimmung, die Karriere einer Pianistin zu machen. Otto Wurster erarbeitete sich als Kaufmann nach Lehrjahren in Zürich und Wanderjahren in Buenos Aires, Argentinien, eine leitende Position in einem grösseren Unternehmen. Der charmante Mann war die Zuverlässigkeit in Person und in seiner ruhigen Art der ideale Ausgleich zu der lebhaften, alle Freuden des Lebens liebenden Frau. Die beiden führten ein offenes Haus mit regem Freundeskreis, zu dem viele Künstler des damaligen Berner Lebens zählten, unter ihnen Paul und Lily Klee, später auch ihr Sohn Felix mit seiner Familie, Otto und Hilde Nebel, Martin Lauterburg, Hermann Plattner, Walther Heuberger.

Aus gesundheitlichen Gründen konnte das kränkliche Kind nur lückenhaft öffentliche Schulen besuchen, so dass sich die Eltern schliesslich dafür entschieden, Bruno privat unterrichten zu lassen. Schon früh aber erkannten sie seine Begabung fürs Malen und förderten diese klug und mit Umsicht. Die Welt des Einzelkindes war stark vom Tun und Denken der Erwachsenen geprägt, was in seinem Falle hiess, von dem seiner an Musik und künstlerischem Schaffen so sehr interessierten Eltern und deren im Hause ein- und ausgehenden Freunde. Als die Eltern 1948 ein schönes Berner Haus am Steinhölzliweg in Liebefeld bei Bern erwerben konnten, wurde das gesellschaftliche Leben noch ausgeprägter. Die Eltern, vor allem die Mutter, verstanden es vorzüglich, Haus und Garten stilvoll und mit viel Sinn fürs Schöne einzurichten und zu gestalten. Dies alles prägte das heranwachsende Kind unauslöschlich.

Schon bald richteten die Eltern ihm im Gartenhäuschen ein erstes, kleines Atelier Bruno Wursterein. Bereits in seinen frühen, noch kindlichen Arbeiten wurde deutlich, dass es die Welt des Abstrakten war, zu der er sich hingezogen fühlte. Doch im Laufe der Zeit beeinflussten ihn immer stärker auch Formen und Stimmungen der Natur sowie Begebenheiten des Weltgeschehens, etwa die erste Mondlandung im Jahre 1969, und wurden zum Stoff seiner Arbeiten. Er übte sich in den verschiedensten Mischtechniken, machte Collagen, aquarellierte und malte in Öl. Von Kind auf begann ihn auch die Musik, die er im Elternhaus und im Konzertsaal hörte, kennen lernte und mit wachsender Begeisterung in sich aufnahm, zu faszinieren. An erster Stelle ist hier wohl der Name Igor Strawinsky zu nennen. Seine Musik traf ihn im Innersten und vermochte ihm für seine Arbeit entscheidende Impulse zu vermittelten. Ein ganz besonders grosses Erlebnis war daher die persönliche Begegnung mit diesem Komponisten anIässlich der schweizerischen Erstaufführung von «Threni», einem Oratorium für Orchester, Chor und Solisten, in Bern im Jahr 1958.

In den fünfziger Jahren erweiterte sich der Freundeskreis des Hauses. Es kamen mehr und mehr junge Menschen in Brunos Alter zu den Abenden, an denen diesen jedoch ausschliesslich Tee serviert wurde, während sie heiss diskutierten – meist über Themen aus der Welt der Musik. Sie fühlten sich hier ernst genommen und verstanden und genossen die lockere Atmosphäre des Hauses.

Sehr früh schon, nämlich in den Jahren 1952/53, begann Bruno Wurster, seine Werke der Öffentlichkeit in Einzelausstellungen vorzustellen bzw. sich an Gruppenausstellungen (1954/55) zu beteiligen. In den Jahren 1957/58 belegte er an der Gewerbeschule der Stadt Bern einen Kurs für Tierzeichnen bei dem vorzüglichen Lehrer Hans Schwarzenbach. Zur gleichen Zeit begann er auch, Cello-Unterricht zu nehmen. Im Wintersemester 1958/59 belegte er Kulturgeschichte bei Direktor O. Michel an der Gewerbeschule der Stadt Bern.

Ab 1959 beteiligte er sich regeImässig an den Weihnachtsausstellungen Bernischer Künstler in der Kunsthalle Bern, an denen der Gemeinderat der Stadt Bern einige Male Ankäufe von ihm machte. Eine Zeitlang arbeitete er als Volontär bei Kümmerly & Frey, dem renommierten Verlagshaus mit eigener Druckerei, das Bücher und Landkarten verlegte.

Von 1959 bis 1961 war Bruno Wurster Schüler an der Malschule Max von Mühlenen in Bern. Während dieser Zeit reifte der Entschluss, sich beruflich definitiv für die Malerei zu entscheiden. Er wollte sich aber noch weiterbilden und belegte daher 1962 Kurse für Aktzeichnen bei Peter Zeiler in München und erlernte im Sommersemester an der dortigen Atelier-Malschule das Collagieren.

1962 schrieb er sich in München an der Akademie der Bildenden Künste für zwei Semester in die Malklasse von Professor F. Nagel ein. Es folgten fünf Semester an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg bei den Professoren Hermann Wilhelm und Ernst Weil. In dieser Zeit entstanden die ersten Radierungen und Lithographien. Während der Semesterferien arbeitete er jeweils selbstständig in seinem Berner Atelier. 1964 wurde ihm das Eidgenössische Kunststipendium zugesprochen.

1967 heiratete Bruno Wurster, inzwischen 28-jährig, Renate Heydel aus Hamburg, die im nahen Zieglerspital den in Deutschland erlernten Beruf einer Physiotherapeutin ausübte. Sie liessen sich im elterlichen Haus am Steinhölzliweg nieder, wo ihnen im obersten Stock eine Wohnung samt grossem Atelier zur Verfügung stand. Renate nahm die Haushaltführung tatkräftig in die Hand, begleitete daneben aber auch Brunos menschliche und künstlerische Entfaltung behutsam und kraftvoll. Er arbeitete damals an einem «Ikarus-Zyklus», der ihn über längere Zeit beschäftigte.

Das Jahr 1970 steht für den Beginn von Tiefdruck-Arbeiten, vor allem Radierungen und Aquatinta, vorerst noch in Schwarz-Weiss. Bruno Wurster arbeitete nun kontinuierlich in diesen Techniken und erwarb sich grosses fachliches Geschick und Können; sie sollten die von ihm bevorzugten bleiben. Gedruckt wurden die Arbeiten in der Eidgenössischen Landestopographie von Fritz Karlen, einem erfahrenen Fachmann. Daneben entstanden erste Lithographien bei Walter Casserini in Thun. Im Jahr 1972 erhielt er das Louise Aeschlimann-Stipendium der Bernischen Kunstgesellschaft.

Das junge Ehepaar unternahm regelmässige Reisen in den Norden Deutschlands, Renates Heimat, und zwar des ganz speziellen Lichtes wegen gerne in den Wintermonaten. Vor allem die Nordseeinsel Sylt zog sie in diesen Jahren immer wieder an. Bruno nahm alles, was er sah, mit seinen künstlerischen Augen staunend wahr, und als vorzüglicher Fotograf, der er war, machte er unendlich viele Fotos, hielt seine Eindrücke auf ihnen fest, um dieses «Material» dann, wieder daheim, in seinem Atelier meist spontan auszuwerten und umzusetzen. Es zeigte sich, dass jede Reise in seinem Leben, wohin auch immer sie ihn führte, ihren Niederschlag in seinen Arbeiten fand. Ja, Bruno konnte staunen, und staunend wanderte er auf den Inseln Korsika und Lanzarote. Vielleicht am intensivsten staunte er, als er im November des Jahres 2000 die riesige Weltstadt New York sah. Von dieser Reise kam er so total überwältigt und erfüllt zurück, dass die gewonnenen Eindrücke ihn nicht mehr los liessen und in all den vielen Bildern seiner letzten Schaffenszeit ihre Umsetzung gefunden haben.

Das Jahr 1976 brachte eine wichtige Bereicherung für Bruno Wursters Schaffen: Er konnte eine eigene grosse Tiefdruckpresse erwerben, hergestellt von der Firma Güdel, LangenthaI. Um diese unterzubringen, wurde im Untergeschoss des Hauses ein Tiefdruck-Atelier eingerichtet. Bruno hatte grosse Freude an dieser Anschaffung, und es begann eine reiche Schaffensphase. An dieser Stelle muss eine besonders liebenswürdige Seite Bruno Wursters Erwähnung finden, nämlich die Gestaltung seiner weithin bekannten Neujahrsdrucke. Jahr für Jahr beschenkte er die grosse Zahl seiner Freunde und die Käufer seiner Bilder mit einem solchen Druck. Er begann jeweils schon im Sommer mit der Arbeit dafür und druckte dann unermüdlich Blatt um Blatt, signierte, nummerierte und verschickte diese grosszügig.

Es zeigte sich immer deutlicher, dass die Musik einen wichtigen Aspekt seines Lebens darstellte. Doch war es mehr das Hören und in sich Aufnehmen als das selber Musizieren, das er suchte, und so gab er die Cellostunden 1971 auf und verkaufte sein Instrument.

Bruno pflegte Kontakte zu den verschiedensten Musikern. 1973 wurde die Komposition «Zähler» (1966-1969) nach Bernhard von Clairvaux für eine Figurine aus «Kirchweih III» seines Jugendfreundes Urs Peter Schneider in der Heiliggeistkirche in Bern uraufgeführt. Urs Peter Schneider widmete das Werk Renate und Bruno Wurster. 1984 kam es zum Briefkontakt mit dem koreanischen Komponisten Professor Isang Yun und im folgenden Jahr zur persönlichen Begegnung mit ihm. Sein Tod im Jahre 1995 berührte Bruno tief. Er korrespondierte aber auch noch mit anderen Musikern und Komponisten, wie etwa György Ligeti, Sandor Veress, Mario Venzago, Augustinus Franz Kropfreiter, Ernst Ludwig Leitner, Klaus Sonnenburg, Roland Moser, Vladislav Jaros und anderen. Bruno und Renate Wurster waren regelmässige Besucher der Abonnementskonzerte des Bernischen Symphonieorchesters, und es geschah immer wieder, dass Bruno sich vergass, sich von der Musik hinreissen liess und plötzlich dirigierende Handbewegungen machte – sehr zum Vergnügen seiner Beobachter. Ja, Bruno Wurster war ein Original.

Anfang der achtziger Jahre lernte er den Arzt und Lyriker Peter Weibel kennen. Es entstand eine herzliche Freundschaft zwischen den beiden Künstlern, und 1983 erschien eine Mappe mit fünf Radierungen von Bruno Wurster zu fünf lyrischen Texten von Peter Weibel. Die Freundschaft dauerte bis zu Brunos Tod. Auch mit andern Künstlerkollegen pflegte Bruno guten kollegialen Kontakt. Zum Stammtisch, an dem er sich stets Pfeife rauchend beteiligte, – er besass eine beachtliche Sammlung schöner Pfeifen – gehörten bekannte Berner Maler.

Im Herbst 2002 erkrankte Bruno Wurster. Sein von Kind an geschwächter Körper zeigte plötzlich, dass er den von ihm geforderten Anstrengungen nicht mehr standhalten konnte. Es gab noch ein paar kurze Zeiten, in denen man Hoffnung schöpfen konnte, aber es sollte nicht mehr sein. Am 3. Juni 2003 starb er nach einer letzten kurzen Heimkehr in einem Berner Spital.

Seine Frau Renate hat es sich zur Aufgabe gemacht, seinen Nachlass zu ordnen und zu pflegen und sein Werk vor dem Vergessen zu bewahren. Aber auch in vielen Schweizer und ausländischen Häusern sowie in öffentlichen Gebäuden sind seine Bilder weiterhin zu sehen und halten die Erinnerung an ihn wach.

Renate Wurster/Christa de Quervain